Der Modellierungskreislauf

Unter dem Begriff der mathematischen Modellierung versteht man den Gesamtprozess zur Lösung von Problemen aus der realen Welt mit Hilfe mathematischer Methoden. Dabei werden Probleme aus der Realität -- der außermathematischen Welt -- in vereinfachter Form in die Mathematik übertragen und nach der mathematischen Lösung in die Realität zurückgeführt.

Im Detail besteht ein Modellierungsprozess in der Regel aus mehreren Abfolgen unterschiedlicher Schritte, die in einem Modellierungskreislauf veranschaulicht werden können. Die Schritte im Modellierungsprozess werden auch Phasen genannt, wobei die Übergänge zwischen den Phasen mit Hilfe von Aktivitäten beschrieben werden. Die folgende Grafik veranschaulicht einen idealtypischen Verlauf eines Modellierungsprozesses anhand eines Modellierungskreislaufs:

Zu Beginn gilt es, das reale Problem, also die Aufgabenstellung, zu verstehen. Insbesondere müssen hierbei die Zielgrößen klar definiert werden, um am Ende eine Lösung des Problems auch bewerten zu können. Weiterhin werden in dieser Phase die dem Problem zugrunde liegenden Parameter festgelegt, um die strukturellen Eigenschaften der Aufgabenstellung zu veranschaulichen. Aus diesen Vorüberlegungen entsteht anschließend ein erstes reales Modell, welches auch Vereinfachungen des ursprünglichen Problems aufweist. Hierbei werden vor allen Dingen eine "Lösung" der Aufgabe klar definiert und die darin enthaltenen Variablen mit den gefundenen Parametern zu Bedingungen verknüpft, die eine spätere Lösung erfüllen muss. Aus diesem realen Modell lässt sich nun durch Anwenden mathematischer Strukturen, Formeln und Gleichungen ein allgemeines mathematisches Modell erstellen, aus dem das ursprüngliche reale Problem nicht mehr ohne weitere Vorkenntnisse erkennbar ist. Nun besteht die Aufgabe darin, geeignete mathematische Verfahren und Algorithmen zu ermitteln oder zu entwickeln, um eine (oder eventuell sogar mehrere) mathematische Lösungen des Modells zu berechnen. Diese Lösungen werden anschließend wieder in die reale Welt zu realen Lösungen übersetzt, d.h. die Auswirkungen der Lösungswerte der Modellvariablen werden in die Realität interpretiert. Schlussendlich stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der berechneten realen Lösungen: Wird die gegebene Aufgabenstellung durch die Resultate nicht zufriedenstellend gelöst, so muss möglicherweise das reale Modell angepasst werden. Dies kann passieren, wenn beispielsweise zu starke Vereinfachungen des realen Problems angenommen wurden. Ebenfalls muss überprüft werden, ob die erhaltenen realen Lösungen auch Lösungen zu dem realen Modell selbst darstellen, um Fehler bei der Übersetzung in die mathematische Welt identifizieren zu können. Bis überzeugende Lösungen des gegebenen realen Problems gefunden sind, kann dieser beschriebene Kreislauf also mehrfach durchlaufen werden.

Modellierungskreisläufe werden zur Veranschaulichung des Konzepts des mathematischen Modellierens, zur Unterstützung der Lernenden bei der Bearbeitung von Modellierungsaufgaben, insbesondere im Bereich der Metakognition, und als Grundlage für empirische Untersuchungen eingesetzt.

Literatur (Auszug)

  • Kaiser, G., & Stender, P. (2013). Complex modelling problems in co-operative, self-directed learning environments. In: G. Stillman, G. Kaiser, W. Blum & J. Brown (Eds.) Teaching mathematical modelling: connecting to research and practice (pp. 277–293). Springer. https://doi.org/10.1007/978-94-007-6540-5_23
  • Blum, W. & Leiss, D. (2005). Modellieren im Unterricht mit der "Tanken"-Aufgabe. Mathematik lehren, 128, 18–21.
  • Blum, W. (1985). Anwendungsorientierter Mathematikunterricht in der didaktischen Diskussion. Mathematische Semesterberichte, 32(2), 195–232.